11. Nov. 2019

Selbstbestimmungsrecht von Genossenschaften

WECHSEL DES PRÜFUNGSVERBANDS

Jede Genossenschaft muss Mitglied in einem Verband sein, dem das Prüfungsrecht verliehen wurde. Diese gesetzliche Regelung ist Voraussetzung für die Rechtsfähigkeit der Genossenschaft. Dies bedeutet aber nicht, dass die Verbindung zwischen Genossenschaft und dem Verband, dem sie zuerst beigetreten ist, auf alle Zeit bestehen muss. Die freie Wahl des Prüfungsverbands ist elementarer Ausdruck des Selbstbestimmungsrechts einer Genossenschaft.

Die Ausübung der freien Wahl des Prüfungsverbandes, der die gesetzliche Pflichtprüfung gem. § 53 GenG für das nächste Geschäftsjahr der Genossenschaft durchführen soll, kollidiert mit dem tradierten Axiom des auf Dauer angelegten „Prüfungsrechts“ eines Prüfungsverbands und der spielbildlichen „Prüfungsunterworfenheit“ der Genossenschaft. Dies findet vermeintlich erst ein Ende, wenn die Genossenschaft ihre Mitgliedschaft im jeweiligen Prüfungsverband durch Kündigung beendet hat. Die meisten Prüfungsverbände haben allerdings eine Kündigungsfrist von zwei Jahren in ihrer Satzung verankert. Somit wäre eine Trennung nur mittelfristig möglich, und die kündigende Genossenschaft müsste noch für weitere zwei Geschäftsjahre die Prüfung durch den gekündigten Prüfungsverband dulden. Angesichts der rechtlich – und häufig auch faktisch – starken Stellung der Prüfungsverbände ist das für die Genossenschaften und deren Gremien eine Unsicherheit mit unübersehbarem Risikopotential. Diese als prohibitiv empfundene Hürde passt nicht in den Kontext des Selbstbestimmungsrechts von Genossenschaften.

Das starre Festhalten an der Kündigungsfrist ist mittlerweile rechtlich umstritten, wenn das Vertrauensverhältnis zwischen Genossenschaft und dem Prüfungsverband zerrüttet ist.

Dies hat auch der Gesetzgeber erkannt und in der jüngsten Novelle des GenG eine Wechselmechanik ohne Rückgriff auf die Kündigungsmöglichkeit und die Problematik der Kündigungsfrist entwickelt. Gem. § 55 Abs. 4 GenG ist nun eine Einigung zwischen der wechselbereiten Genossenschaft, dem übernehmenden Prüfungsverband sowie dem abgebenden Verband möglich. Nur wenn keine Einigung zustande kommt, gilt die Entscheidungsregel der Prüfungsdurchführung durch den Prüfungsverband, bei dem die Genossenschaft die Mitgliedschaft zuerst erworben hat. Diese Regel hat das alleinige Ziel, im Interesse der Öffentlichkeit keine Unklarheiten über die Zuständigkeit für die Durchführung der gesetzlichen Prüfung entstehen zu lassen. Die Parteien sollen sich also einigen („Einigungsgebot“). Ein kategorischer Ausschluss der Einigung, z.B. durch eine entsprechende Satzungsbestimmung in der Vereinssatzung des Prüfungsverbands, ist gesetzeswidrig. Das Landgericht Hannover hat dies im Rahmen einer bemerkenswerten Begründung des Urteilsspruchs vom 07.10.2019 (AktZ 1 O 210/18) erstmals und in unmissverständlicher Klarheit bestätigt. In diesem Licht betrachtet sind in der Praxis anzutreffende Satzungen mit Bestimmungen , welche bereits die bloße Mitgliedschaft einer Genossenschaft in einem weiteren Prüfungsverband mit der Ausschlussdrohung zu belegen, erst recht unzulässig und damit rechtlich angreifbar.

An die Ablehnung eines Einigungsbegehrens der Genossenschaft und des übernehmenden Prüfungsverbandes werden angesichts des grundsätzlich höherrangigen Selbstbestimmungsrechts der Genossenschaft besonders hohe Anforderungen zu stellen sein. Sie dürfte nur in Betracht kommen, wenn objektiv die begründete Sorge besteht, dass durch den Prüferwechsel die Qualität der Prüfung zum Schaden der Genossenschaft, ihrer Mitglieder und der Öffentlichkeit in unvertretbarer Weise leidet. Dieser Nachweis wird in der Praxis schwer zu führen sein, zumal der übernehmende Prüfungsverband im Rahmen seiner Sorgfaltspflichten bei der Übernahme der Prüfung, ggf. durch Rücksprache mit dem abgebenden Prüfungsverband, die Anwendung größter Sorgfalt zu gewährleisten hat und der abgebende Prüfungsverband daran mitzuwirken verpflichtet ist.

Infolge des mittlerweile unzweifelhaften gesetzlichen Einigungsprimats wird die Einigung zum
Normalfall und die Nichteinigung zum Ausnahmefall werden, welcher im Zweifel einer rechtlichen
Überprüfung standhalten muss.

Im Fall einer nicht oder nur unzureichend begründeten Zurückweisung eines begründeten Einigungsbegehrens kann die Genossenschaft die Durchführung der Prüfung durch den zurückweisenden Verband ablehnen. Denn durch das Verhalten des Prüfungsverbands wird das Vertrauensverhältnis zwischen Genossenschaft und Verband in einem Maß zerrüttet, dass eine unbefangene und neutrale Prüfung nicht mehr erwartet und der Genossenschaft eine Prüfung durch den ablehnenden Prüfungsverband nicht mehr zugemutet werden kann. Formal kann die Zurückweisung der nicht zumutbaren Prüfung durch eine Teilkündigung der Mitgliedschaft oder durch eine Kündigung der Mitgliedschaft aus wichtigem Grund erfolgen. Im ersten Fall bedeutet dies den Entzug des Prüfungsrechts bei Fortbestand der Mitgliedschaft im Übrigen. In beiden Fällen muss die satzungsmäßige Kündigungsfrist, die nur für ordentliche Kündigungen gilt, nicht beachtet werden. Die Genossenschaft kann den übernehmenden Prüfungsverband also mit sofortiger Wirkung mit der Prüfungsdurchführung beauftragen.

Fazit: Im Rahmen des genossenschaftlichen Selbstbestimmungsrechts hat eine
Genossenschaft das Recht zu bestimmen, von welchem der Prüfungsverbände, denen sie angehört,
die Pflichtprüfung gem. § 53 GenG durchgeführt werden soll.

Dieser Rechtsausübung entgegenstehende Hürden, insbesondere die satzungsgemäße Negierung des gesetzlichen Einigungsgebots oder gar die Bedrohung einer einem weiteren Prüfungsverband angehörigen Genossenschaft mit dem Ausschluss, sind rechtswidrig. Die Einhaltung der regelmäßig auf zwei Jahre festgelegten Kündigungsfrist kann vom Prüfungsverband nicht beansprucht werden, wenn das Vertrauensverhältnis zwischen dem Verband und der Genossenschaft infolge des Verhaltens oder rechtswidriger Satzungsbestimmungen des Verbands zerstört ist.

Gleichwohl wird der Prüfungswechsel von der Genossenschaft und ihren Gremien gut abzuwägen und sachlich zu begründen sein. Mit einem Wechsel des Prüfungsverbands darf keinesfalls ein Qualitätsverlust der Prüfung einhergehen. Vielmehr sollte durch einen gelegentlichen Wechsel Qualität und Nutzen der Prüfung im Interesse der Genossenschaft wie auch der Öffentlichkeit gefördert werden.

Die Neufassung von § 54 GenG stellt einen entscheidenden Fortschritt im Hinblick auf die Selbstbestimmung der Genossenschaften und die Aufrechterhaltung des notwendigen hohen Niveaus der Prüfungsqualität dar. Die Einigung zwischen Genossenschaft, dem abgebenden und dem übernehmenden Prüfungsverband wird bereits in nächster Zukunft „zum guten Ton" gehören. Deren Ablehnung wird schon bald eher als „Gruß aus alten Zeiten" wahrgenommen werden, der mit dem Leitbild moderner, am Markt wettbewerbsfähiger selbstbestimmter Genossenschaften nicht vereinbar ist.
 

Dr. H.-W. Kortmann                   Astrid Busch
Wirtschaftsprüfer                 Wirtschaftsprüferin

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