20. Apr. 2020

Schutz von Vorstand und Aufsichtsrat vor Haftungsrisiken aus § 49 GenG


im Zusammenhang mit Covid-19-Pandemie-bedingten „Zwangsanleihen“

„Zwangsanleihen“ als neues Phänomen

Vertragliche Zahlungsschuldner haben aufgrund des Artikels 5 des am 27.März 2020 verabschiedeten „Gesetz zur Abmilderung der Folgen der COVID-19-Pandemie im Zivil-, Insolvenz- und Strafverfahrensrecht“, welcher tief in die gewohnten Regelungen des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) eingreift,  ein gesetzliches Zahlungsverweigerungsrecht im Rahmen von die Daseinsvorsorge der Verbraucher betreffenden Verbraucherverträgen mit Dauerschuldcharakter (sog. „Moratorium“, z.B. für Energielieferungen) oder im Rahmen von Miet- und Pachtverhältnissen (partielles Kündigungsverbot für den Vermieter) für im Zeitraum vom 1. April bis 30. Juni 2020 entstandene Zahlungsverpflichtungen eingeräumt bekommen. Dies setzt voraus, dass dem Schuldner die Zahlung aufgrund von Auswirkungen der Covid-19-Pandemie nicht mehr möglich oder zumutbar ist (Artikel 240 des geänderten Einführungsgesetzes zum BGB, §§ 1 und 2). Die Bundesregierung ist ermächtigt, den Zeitraum um 3 Monate bis zum 30. September 2020 zu verlängern. Die Zahlungsgläubiger, z.B. Handels- und Dienstleistungs- oder Wohnungsgenossenschaften, haben aufgrund der gesetzlichen Regelung grundsätzlich keine Handhabe gegen diese liquiditätsmäßigen „Zwangsanleihen“.

Unerwartete Haftungsrisiken im Zusammenhang mit § 49 GenG

Mit den seit Beginn der Pandemie vielfältigen und immer mehr zunehmenden Zweifelsfragen ist u.a. die Frage in die Diskussion geraten, ob die „zwangsentliehenen“ Mittel „Kreditgewährungen“ im Sinne von § 49 GenG darstellen. Die Brisanz dieser Frage ergibt sich aus den möglichen Haftungsfolgen für Vorstand und ggf. auch den Aufsichtsrat, falls die von der General- oder Vertreterversammlung gem. § 49 GenG festgesetzten Kreditbeschränkungen infolge der „Zwangsanleihen“ überschritten werden oder gar - wie es bei zahlreichen, normalerweise keine Kredite im herkömmlichen Sinn gewährenden Genossenschaften der Fall ist - eine solche Beschlussfassung nicht existiert. Sofern in diesen Fällen, z.B. infolge von Schuldnerinsolvenzen, bei den Genossenschaften ein Schaden entsteht, kann dies eine Ersatzpflicht der Genossenschaftsorgane auslösen, sei es wegen Überschreitung einer beschlossenen Beschränkung, sei es wegen Unterlassung der Verpflichtung, die General- oder Vertreterversammlung zum Erlass von Kreditbeschränkungen anzuhalten.

Erkennen der „Firewall“ zum Schutz vor Haftungsrisiken

Nach unserer Beurteilung handelt es sich bei von Mietern unter Berufung auf die Pandemie zurückgehaltenen Mietzahlungen nicht um Kreditgewährungen i. S. des § 49 GenG. Der Gesetzgeber greift mit Art. 240, §§ 1 und 2 EG BGBneu im Rahmen einer gesetzlich legitimierten Leistungsstörung (Nichtleistung der vertraglich geschuldeten Gegenleistung, z.B. der Miete) in die üblichen Sanktionierungsmöglichkeiten der Gläubigerpartei ein (z.B. des Energielieferanten oder des Vermieters) in dem er die Zahlungsgläubiger - z.B. durch Verhängung eines Kündigungsverbots für den Vermieter - faktisch verpflichtet, die Nichtleistung zu dulden. Daraus ergibt sich, dass es sich hierbei nicht um die „Gewährung von Kredit“ i. S. von § 49 GenG handelt, sondern eher um eine Art von gesetzlicher Zwangsanleihe aufgrund hoheitlichen Eingriffs in die Vertragsbeziehung. Das Moment der freiwilligen Hergabe von Kredit fehlt vollständig. Demgemäß können von der Genossenschaft zu duldende Leistungsverweigerungen in Gestalt der Nichtzahlung vertraglich geschuldeter Beträge nicht unter den Anwendungsbereich von § 49 GenG fallen.

Solange der Charakter der zwangsentzogenen Liquidität unzweifelhaft erhalten bleibt, ist ein Haftungsrisiko aus § 49 GenG auszuschließen, da sich Vorstand und Aufsichtsrat als Duldungsverpflichtete des gesetzlichen Eingriffs klar außerhalb des Regelungsbereichs dieser Vorschrift bewegen.

Gefährdung der Haftungsabschottung durch Abschluss von Stundungsvereinbarungen

Aus dem Gedanken der genossenschaftlichen Solidarität mag es sinnvoll und angemessen erscheinen, die gesetzlich legitimierte Nichtzahlung der Energielieferung oder der Miete im Verhältnis zwischen der Genossenschaft und dem Mitglied in „normale Bahnen“ zu überführen, in dem die nicht gezahlten Beträge in ein Darlehensverhältnis oder in eine darlehensähnliche Stundungsvereinbarung gekleidet werden. Auch mag die Genossenschaft in Ermangelung einer gesetzlichen Regelung zur Tilgung der auflaufenden Schulden ein elementares kaufmännisches Interesse daran haben, in einen vertraglich geregelten Tilgungsmodus zu kommen, um im Fall einer länger anhaltenden Krise in dem dann nicht auszuschließenden Gläubigerwettlauf um die schwindende Zahlungsfähigkeit der Schuldner nicht die Letzten zu sein und die Einbringlichkeit der Außenstände bestmöglich abzusichern.

Bei Abschluss einer Stundungsvereinbarung bewegt man sich allerdings in einem risikogeneigten Grenzbereich zwischen der rein technischen Regelung zur Abtragung einer gesetzlich geduldeten Überziehungsschuld und der bewussten Gewährung von Kredit an den Schuldner. Eine Kreditgewährung wird jedenfalls dann zu vermuten sein, wenn die Schuld förmlich in eine Darlehensbeziehung umgewandelt wird. Möglicherweise reicht es zur Annahme einer bewussten Kreditgewährung aber schon aus, wenn ein sehr langer Tilgungszeitraum vereinbart würde. In diesem Zusammenhang kann die Überziehungsschuld gewissermaßen in eine Kreditgewährung i.S. von § 49 GenG „übergleiten“.

Sollte die Genossenschaft ohne eine entsprechende Beschlussgrundlage gemäß § 49 GenG Stundungsvereinbarungen abschließen, welche möglicherweise als Kreditgewährungen i.S. § 49 GenG zu werten sind, oder sollte eine festgesetzte Kreditbeschränkung unter Einbeziehung derartiger  Stundungsvereinbarungen verletzt werden, ist zumindest nicht auszuschließen, dass im Fall des Ausfalls dieser „Kredite“ (z.B. infolge von Privatinsolvenzen der Schuldner oder aufgrund eines in „Coronazeiten“ zumindest nicht undenkbaren gesetzlichen „Schuldenschnitts“ zulasten der Genossenschaft) ein Schaden für die Genossenschaft entsteht, für den die Gremien ggf. ersatzpflichtig gemacht werden könnten.

Eine Schadenersatzpflicht dürfte zwar mit einiger Aussicht auf Erfolg abzuwehren sein, sofern der Vorstand darlegen kann, dass der Abschluss einer Stundungs- oder Ratenzahlungsvereinbarung aufgrund einer von ihm unter Abwägung aller in Betracht kommenden Umstände für vertretbar und mit den Interessen der Genossenschaft als vereinbar gehaltenen Entscheidung beruhte und dabei auch genossenschaftliche Aspekte, wie ggf. die Rücksichtnahme auf besondere Notsituationen einzelner Mitglieder, maßgeblich waren. Der Erfolg ist jedoch keineswegs sicher.  Weshalb also Risiken eingehen, wenn es nicht handfeste Notwendigkeiten für den Abschluss von Stundungsvereinbarungen gibt?

Empfehlungen zur Haftungsvermeidung

  • Die sicherste Methode zur Haftungsvermeidung ist ein „komfortabler“ Beschluss der General- oder Vertreterversammlung gem. § 49 GenG, am Besten in Gestalt einer Klarstellung, dass Zahlungsrückstände aus Leistungsverträgen, die ausschließlich auf nicht abwendbaren hoheitlichen Maßnahmen beruhen, wie z.B. auf Art. 240 EG BGBneu, nicht als Kreditgewährungen gem. § 49 GenG gewertet werden. Durch eine generelle „Pandemie-Klausel“ sollte dem Vorstand ein gewisser zusätzlicher situativer Handlungsspielraum – betraglich wie prozedural - eingeräumt werden. Sollten im Einzelfall differenziertere Regelungen sinnvoll oder notwendig sein, ist unbedingt die Einholung von Expertenrat zu empfehlen, z.B. seitens eines genossenschaftlichen Prüfungsverbands.

  • Ohne eine sichere Beschlussgrundlage sollte der Abschluss jeglicher Stundungsvereinbarungen mit Schuldnern vermieden werden.

  • Wenn sich der Abschluss einer Vereinbarung aus guten Gründen als notwendig erweist, ist eine Vertragsgestaltung zu wählen, welche möglichst jeden Ansatzpunkt für eine Interpretation als Form der Kreditgewährung ausschließt. Zu vermeiden ist jeglicher Stundungscharakter. Unschädlich dürften reine Schuldanerkenntnisse in Verbindung mit Tilgungs- und Sicherheitenvereinbarungen sein, welche den ursprünglichen Charakter der Schuld als „Zwangsanleihe“ in keiner Weise einschränken oder modifizieren.

Dr. H.-W. Kortmann

Wirtschaftsprüfer

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