30. Apr. 2020

Wärmewende – Herausforderung und Chance für die Wohnungswirtschaft

Das Ziel der Bundesregierung ist es, bis 2050 einen „nahezu klimaneutralen Gebäudebestand“ zu haben. Um sich diesem Anspruch auch nur ansatzweise zu nähern, muss die bislang stockende Wärmewende an Fahrt aufnehmen. Die Wohnungswirtschaft mit ihrem umfangreichen Bestand hat das Potenzial, dazu einen beträchtlichen Teil beizutragen. So groß wie die Chancen sind jedoch auch die Herausforderungen.

Welche Worte verbinden Sie mit der Energiewende? Nicht einmal ein Viertel der deutschen Hausbesitzer dachte an „Wärme/Heizung“, als ihnen diese Frage in einer vom Zentralverband Sanitär Heizung Klima (ZVSHK) in Auftrag gegebenen Umfrage1 gestellt wurde. Dieses Ergebnis spiegelt das allgemeine Stimmungsbild anschaulich wider: Der Bereich Wärme wird noch immer nicht als elementarer Bestandteil der Energiewende wahrgenommen. Dabei ist die Wärmewende unerlässlich im Hinblick auf eine erfolgreiche Transformation der Energieversorgung von fossil zu erneuerbar und das Erreichen der Klimaziele.
Allerdings wurde hier in den vergangenen Jahren – auch von politischer Seite – viel versäumt, so dass die Reduzierung der Emissionen ins Stocken geraten ist. „Umso mehr ist jetzt eine Aufholjagd nötig, schließlich soll Deutschland laut Plänen der Bundesregierung bis zum Jahr 2050 einen nahezu klimaneutralen Gebäudebestand auf Basis erneuerbarer Energien erreichen“, sagt Robert Werner, Geschäftsführer des Hamburg Instituts und Mitglied des Verbandsrats des DHV. „Einfach ausgedrückt: Ohne Wärmewende keine Energiewende.“

Frage nach künftiger Energieversorgung beschäftigt Wohnungswirtschaft

Dafür sprechen schon die Zahlen: Die Beheizung und Warmwasserbereitung von Wohngebäuden machen fast ein Viertel des Endenergieverbrauchs der Bundesrepublik und circa 14 % der CO2-Emissionen aus. Jeweils ein Drittel davon entfällt auf den vermieteten Geschosswohnungsbau, also rund 8 % des Endenergieverbrauchs und etwa 5 % der CO2-Emissionen.2
So spielt vor allem die Wohnungswirtschaft bei der Dekarbonisierung des Gebäudebestands eine bedeutende Rolle. Denn sie verfügt über knapp die Hälfte der Mietwohneinheiten in Deutschland.3 Angesichts sich verschärfender Vorgaben seitens des Gesetzgebers und höherer Anforderungen an den Klimaschutz beschäftigen sich Unternehmen der Wohnungswirtschaft zunehmend mit der Frage, wie sie perspektivisch ihre Energieversorgung gestalten.

Vielzahl an Akteuren und Technologien

Im Gegensatz zum Stromsektor ist der Wärmebereich ein deutlich komplexeres Feld mit heterogener Struktur. Eine Vielzahl an Akteuren hat die Wahl zwischen einer Vielzahl an Technologien und Energieträgern von Biomasse über Solarthermie, Geothermie und Wärmepumpe bis hin zur Fernwärme. Für Millionen von Gebäuden gilt es, Millionen von Eigentümern, Mietern und Vermietern ins Boot zu holen. Investitionskosten für neue Heizungsanlagen und energieeffiziente Gebäudesanierungen müssen direkt selbst getragen werden. Die Folge: Die Entscheidungsträger tun sich schwer und entscheiden – vornehmlich nichts. Und so werden nach Schätzungen des BDH Bundesverband der Deutschen Heizungsindustrie nach wie vor über 90 Prozent der deutschen Heizungsanlagen mit Öl und Erdgas betrieben.


Klimafreundlich, wirtschaftlich und zugleich sozialverträglich

Speziell die Wohnungswirtschaft steht noch vor einer weiteren Herausforderung: der Sozialverträglichkeit. Anders als etwa der private Einfamilienhaus-Eigentümer, müssen die Unternehmen den Spagat hinbekommen, dass sich die Effizienzmaßnahmen für sie als Wirtschaftsunternehmen rechnen und zugleich nicht ihrer Aufgabe, bezahlbaren Wohnraum zur Verfügung zu stellen, entgegenstehen. Klimaschonend, wirtschaftlich, zukunftsfähig und sozial gerecht – das ist der hohe Anspruch an ihre Energieversorgung.
Obwohl jährlich viele Milliarden Euro in die energetische Verbesserung des Gebäudebestands fließen und die Wohnungsunternehmen überdurchschnittlich viel energetisch modernisieren, stagniert der temperaturbereinigte spezifische Endenergieverbrauch für Raumwärme in Deutschland seit 2011 bei ca. 130 kWh/m²a4. Um hier deutliche Fortschritte zu erzielen, müssen stets zwei große Handlungsfelder berücksichtigt werden: auf der einen Seite Investitionen in bauliche Maßnahmen, zum Beispiel Dämmung, Fenster etc., auf der anderen Seite in eine klimafreundliche Energieversorgung. Für optimale Effizienzeffekte sollte an beiden Stellschrauben gleichermaßen gedreht werden. In welchen Anteilen dies sinnvoll ist, variiert von Gebäude zu Gebäude.


Im Verbund denken

Beim Neubau ist es vergleichsweise einfach, regenerative Energie zu integrieren oder komplett auf eine Versorgung durch Erneuerbare zu setzen. Schwieriger wird dies beim Bestand – der jedoch ist mit seinen hohen Einsparpotenzialen entscheidend für Klimaneutralität im Gebäudesektor.
 „Erfahrungen aus der Praxis zeigen, dass sich die besten Ergebnisse erzielen lassen, wenn man nicht jedes Gebäude einzeln betrachtet, sondern möglichst in ganzen Quartieren oder Portfolios denkt“, betont Robert Werner. „Dann lassen sich deutlich kostengünstigere Lösungen erarbeiten.“ So kann es sich beispielsweise eher rechnen, einige günstig gelegene Dächer eines Häuserblocks für eine quartiersübergreifende Solarthermie-Lösung zu nutzen als jedes Haus gesondert zu optimieren.

Gebäudeenergiegesetz auf dem Weg

Seitens der gesetzlichen Rahmenbedingungen kommt seit 2019 wieder mehr Bewegung in das Thema. Mit dem Gebäudeenergiegesetz (GEG)5 soll voraussichtlich noch in diesem Jahr ein einheitliches, aufeinander abgestimmtes Regelwerk für die energetischen Anforderungen an Neubauten, Bestandsgebäude und an den Einsatz erneuerbarer Energien zur Wärme- und Kälteversorgung verabschiedet werden.
Darin enthaltene wesentliche Punkte: Der CO2-Ausstoß soll ab 2021 bepreist werden. Heizöl und Erdgas werden mehr kosten. Neue Ölheizungen sollen ab 2026 weitgehend verboten, aber deren Austausch mit 40 Prozent Zuschuss gefördert werden. Für energetische Sanierungsmaßnahmen soll eine steuerliche Förderung eingeführt, die Förderung der KfW-Effizienzhäuser um 10 Prozentpunkte angehoben und für Wohnungsunternehmen teilweise direkte Zuschüsse gewährt werden. Die geltenden energetischen Standards für Neubau und Modernisierung sollen 2023 überprüft werden. Des Weiteren soll eine Verbesserung der Rahmenbedingungen für Mieterstrom geprüft und die KWK-Förderung bis 2030 verlängert werden. Eine Reihe von guten Punkten, welche so zügig wie möglich umgesetzt werden sollten.

Strategisch vorgehen

„Unabhängig vom weiteren Verlauf der Gesetzgebung empfiehlt sich gerade für Unternehmen der Wohnungswirtschaft das Aufsetzen einer Sanierungsstrategie“, sagt Robert Werner. Hierbei sollte zunächst der Status-quo aus vorhandenen Gebäuden, Technologien und Verbräuchen erfasst werden. Auf dieser Basis lässt sich ein Fahrplan erstellen, der standortspezifisch sämtliche Aspekte einbezieht – von jeweils nötigen Investitionen und Maßnahmen über geeignete Technologien bis hin zum Ausschöpfen passender Fördermöglichkeiten.
Angesichts der Vielzahl an Programmen und Optionen kann es hierbei sinnvoll sein, sich von Verbänden oder spezialisierten Beratungsunternehmen professionell unterstützen zu lassen. Bei baulichen Technologie-Investitionen mit langen Finanzierungs- und Nutzungszeiten sind Expertise, Umsicht und Weitsicht gefragt.

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Programmierung: 1080°media GmbH | Fotografie: Lis Kortmann